„Macht das überhaupt Sinn“, intervenierte mein Sohn. „Das nächste mal wird wieder Müll herum liegen.“ Während er vor rund 13 Jahren mit seinem Bruder am Flussufer an Steintürmen baute, vertiefte ich mich in Getränkedosen, Brotresten, Zigarettenstummeln und zerbrochenen Bierflaschen. „Doch es macht Sinn! Stell dir den gigantischen Müllberg vor, der sich im Laufe der Zeit hier ansammeln würde.“ Mein Blick wanderte über das kalte, klare Wasser, als mich eine Frage nicht mehr los ließ: Vielleicht hinterlassen die Ufergäste nur deshalb ihren Müll, weil sie durch mein Handeln keine Möglichkeit zur Reflexion finden? Mein Sohn hatte Recht. Durch meine Sammelwut wurden die Gäste nicht mit ihrer Hinterlassenschaft konfrontiert. Soweit zu meiner letzten Müllsammelaktion.

Wenn ich es mir recht überlege, Müllberge in einer bestimmten Dimension habe ich nach diesem Nachmittag nicht mehr gefunden, stattdessen meinen speziellen Zugang zur Wasserfotografie. Denn als ich später am Tag mit dem Müllsack am Flussufer stand und meine Kamera auspackte, stieß ich den Sack versehentlich um. Das Sammelsurium kullerte heraus und eine Getränkedose rollte ins Wasser. Die hohe Fließgeschwindigkeit riss die Dose mit und lagerte sie einige Meter flußabwärts zwischen Felsen und Geröllsteinen ab. Als ich das eingeklemmte Gebilde durch den Sucher der Kamera betrachtete, und meine ersten Müll-Wasserfotos machte, war ich fasziniert.

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Die Dinge der Konsumgesellschaft veränderten durch den Einfluss der Wasserströmung und die Übertragung durch die Fotografie ihre ursprüngliche Gestalt. Der Müll blickte mir plötzlich entgegen. Der Warencharackter der Getränkedose blieb zwar erhalten. Doch bei längerer Betrachtung suggerierte mir die eingefangene, fotografische Spur mythische Gestalten und Fabelwesen. „Was wir sehen, blickt uns an“, schreibt der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman. Und natürlich blicken uns Dinge und Bilder nicht an. Doch das, was wir wahrnehmen, ist ein Spiegel unserer Sehgewohnheiten, eine Art Resonanzkörper unseres Verständnisses über Kollektivsymbole, die in unserer Kultur verankert sind.

Wobei sich, wie gesagt, die materielle Beschaffenheit des Restmülls nicht zur Gänze leugnen lässt. Für einen kurzen Moment betreten wir eine Welt dazwischen, eine Welt in der das eine gerade nicht mehr ist und das andere noch nicht begonnen hat. Es entsteht eine Art Zwischenzustand, ein Zustand des „In-Between“. Genau an diesem Punkt führt die bildnerische Arbeit über das Bild hinaus, hin zu uns selbst. In gewisser Weise sind wir so dem Phänomen des Erinnerns und der Konstruktion von Identitat auf der Spur.

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Presse: In der fotografischen Serie „Totem und Trickster“ setzt sich Isabella S. Minichmair mit dem Medium Wasser im oberösterreichischen Alpenvorland und dessen optischen Phänomenen auseinander. Der von der Gesellschaft am Flussufer achtlos hinterlassene oder bewusst zur Entsorgung in den Fluss geworfene Zivilisationsmüll spielt dabei eine bedeutende Rolle. Die zwischen Felsen und Geröllsteinen angelagerten Dinge der Konsumgesellschaft verlieren durch die Wasserströmung und die Übertragung mittels Fotografie ihre ursprüngliche Gestalt und damit ihren Warencharakter. Was bildhaft bleibt, ist eine Spur der Dinge -rote, gelbe und blaue Farbschlieren als Verweis auf prominente Getränkemarken, die bei längerer Betrachtung mythische Gestalten und Fabelwesen suggerieren. Die an die Momentaufnahme gekoppelten Assoziationen des Betrachters wertet die Künstlerin als Spiegel von Sehgewohnheiten und Kollektivsymbolen, die in der Kultur verankert sind. Gleichzeitig macht sie in phantasievoller Art auf vorherrschende Verhaltensweisen und Umweltproblematiken aufmerksam.

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