Im Lauf der Zeit, also innerhalb von 30 Jahren, sind zahlreiche künstlerische Projekte entstanden, die in ihren Ansätzen theoretische Fragestellungen für meine Dissertation und für weitere Projekte vorweg genommen haben. Im Archiv zu stöbern, ist daher immer wieder spannend für mich. Vieles entdecke ich dabei neu, so manches wird noch aufgearbeitet. Es steht also in diesem Jahr wieder einiges an Arbeit an.

Eines meiner Lieblingsprojekte ist „Ein dünnes Blatt Papier„. Seit 2015 arbeite ich bereits an dieser Serie. Auf Schloss Weinberg, im Rahmen des Artist in Residence Programmes „SCHLOSSMALERIN“ der Kunstsammlung des Landes OÖ, konnte ich sie wesentlich weiterentwickeln. Ziel war einerseits einen methodischen Zugang zu einer alten Kulturtechnik zu erhalten und entsprechend meiner theoretischen und bildnerischen Arbeit zum Thema „Kulturelles Gedächtnis“ zu modifizieren. Im Fall von „Ein dünnes Blatt Papier“ regte mich die klassische, chinesische Tuschemalerei des 8. bis 10. Jahrhunderts an. Die Maler dieser Zeit verbrachten Tage und Nächte in den Wäldern ihrer Umgebung, um Eindrücke zu sammeln und aufzunehmen. Anschließend gingen sie zurück in ihre Werkstätten, um mit konzentriertem Pinselstrich das Aufgenommene zu verarbeiten. Sie wollten dabei nicht nur die äußere Erscheinung abbilden, sondern ihre Erfahrung in ihrer Ganzheit “herausbilden”, bzw. sichtbar machen.

Andererseits hatte ich mir das Ziel gesteckt eine Technik zu entwickeln, die auch auf Reisen und in der Natur für mich gut zu handhaben ist. Die Materialien und Malmittel sollten leicht zu transportieren und auch im Handgepäck für Zug, Flugzeug und Auto praktikabel und erlaubt sein. Chinapapier, das ich bereits im Rahmen von Naturselbstdrucken (Borkenkäferfraßspuren 2009) zu schätzen gelernt habe, ist zwar hauchdünn, jedoch mit Umsicht bearbeitet, robust genug für das Handgepäck und ein naturnahes Arbeiten.

Dennoch, Chinapapier ist leicht reiß- und zerstörbar. Fragil, wie die kulturelle Identität des Einzelnen und das kulturelle Gedächtnis von Gesellschaften, die sich dem Leben zu Liebe stetig wandeln. Die Eigenschaften von Japan- und Chinapapier bieten ein geeignetes Experimentierfeld diesen Wandel prozesshaft zu symbolisieren. Ein dünnes Blatt Papier wird mehrfach mit lichtechter Tusche gefärbt, getrocknet, gefaltet, gepresst, verleimt und schließlich noch einmal bemalt. Im Laufe der Arbeitsschritte wird sichtbar, was zu Beginn unvorhersehbar erscheint. Bäume, Buchten, Wege entstehen. Der materielle Widerstand gibt vor wohin die spielerische Reise geht. Erinnerung und Inspiration formen das Motiv. Das hauchdünne Papier wird zu einer Membran zwischen wirklichen und imaginierten Räumen. Die getrocknete Grafik ist ein Zwischenschritt, der vielleicht schon morgen ein anderes Gesicht und eine neue Geschichte erhält.

Ausstellung „CORRESPONDENCE“ Galerie Schloss Weinberg 2019
Isabella Scharf-Minichmair und Christian Hofstadler
http://www.schloss-weinberg.at/aktuelles/news/news_detail/artikel/galerie_schloss_weinberg.html

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